Im Mai 1990 verschafften sich unterfränkische Wallfahrer auf ihrem Weg ins oberfränkische Vierzehnheiligen in der Nähe des thüringischen Ortes Poppenhausen mittels eines Wanderstocks Durchlass an der ehemaligen Deutsch-Deutschen Grenze. Der 26. Thüringisch-Fränkische Wandertag am 3. Oktober 2022 fand nun am Schauplatz dieser ungewöhnlichen Aktion statt. Rund 250 Wanderer kamen in den Heldburger Ortsteil Poppenhausen, um mit einer Wanderung auf dem Panoramaweg den Tag der Deutschen Einheit zu begehen.

„Im Mai 1990 standen wir hier vor verschlossenem Grenztor“, erinnert sich Ansgar Büttner, während er am Thüringisch-Fränkischen Wandertag auf das Gedenkkreuz auf dem „Platz der Dankbarkeit“ bei Poppenhausen blickt. Im Mai 1990 wollten Büttner und 300 weitere Weggefährten ihre „Männerwallfahrt Bad Königshofen“ nach 40 Jahren erstmals wieder auf der historischen Route über Thüringisches Gebiet gehen.

Dass die Deutsch-Deutsche Grenze in der Nähe von Poppenhausen damals noch unpassierbar war, hatte die Gruppe nicht erwartet. „Umdrehen kam für uns nicht in Frage. Wir haben dann einfach die einzigen Werkzeuge, die wir dabei hatten, zur Hand genommen: unsere Wanderstöcke.“ erklärt Büttner. Mit den Stöcken hebelten die Männer die Bolzen aus dem mächtigen Grenztor, bis es sich einen Spalt weit öffnen ließ und die tatkräftigen Wallfahrer durchschlüpfen konnten.

„Etwas vom Geist dieser pragmatischen Grenzöffnung damals hat auch die Entstehungsgeschichte unseres Panoramaweges“, schmunzelt der Poppenhäuser Ortsteilbürgermeister Robert Wolf. Um den Einwohnern Abwechslung und Anreize in der Natur während der Corona-Pandemie zu verschaffen, regte die Dorfgemeinschaft im Frühjahr 2020 kurzerhand die Entwicklung des Poppenhäuser Panoramaweges an. „Das Areal um den Kuhsee wurde in Rekordzeit zu einem Naherholungsgebiet mit vielfältigen Wander- und Rastmöglichkeiten entwickelt“, so Wolf. Neben herrlicher Landschaft und schönen Aussichten wartet der abwechslungsreiche Wanderweg mit einer beachtlichen Menge an Sehenswürdigkeiten auf.

Für den Thüringisch-Fränkischen Wandertag am 3. Oktober dieses Jahres hatte sich das Poppenhäuser Organisationsteam – allen voran der Feuerwehrverein – einiges ausgedacht, um die Boden- und Naturschätze für die Gäste erfahrbar zu machen. Nach einer Andacht in der imposanten St. Marien Kirche mit Pfarrer Flämig machten sich am 3. Oktober um 10 Uhr rund 250 Wanderer in kleinen Gruppen und geführt von Ortskundigen vom Pfarrhof aus auf den Weg.

An den herausragenden Wegpunkten waren Experten und Expertinnen postiert oder Wanderführer berichteten Wissenswertes zu Geschichte und Natur. An den Resten einer Landwehr referierten Dr. Mathias Seidel und sein Team vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Thüringen. Unterstützt wurde Dr. Seidel von der Schülerin Emily Westhäuser, die im Rahmen eines Schulprojekts eine Informationstafel für dieses Bodendenkmal entwickelt und gestaltet hat. Die Landwehr war als schützender Erdwall mit einem tiefen, wasserführenden Graben zur Verteidigung während des Bauernkrieges gebaut worden.

Am Rastplatz Krackenhügel erwartete Dr. Christoph Unger die Wandergruppen. Der Biologe ist Kurator für Ornithologie und Malakologie am Naturkundemuseum in Erfurt und kennt als Hildburghäuser die Flora und Fauna der Region wie seine Westentasche. Er erläuterte den Teilnehmern unter anderem die besondere Bedeutung des Feuchtgebietes Krautwiesen als Brut- und Nahrungshabitat für mehrere bestandsbedrohte Vogelarten.

Nach acht Kilometern und etwa dreieinhalb Stunden mit kleinen Erfrischungspausen konnten sich die Teilnehmer im Pfarrhof auf ein buntes Rahmenprogramm mit musikalischer Unterhaltung, Köstlichkeiten vom Rost und ein üppiges Kuchenbuffet freuen. Das alte Pfarrhaus wurde eigens für diesen Tag geöffnet. Die ehemalige Lehrerin Gerlinde Sohl führte die Besucher durch das liebevoll gestaltete und gut ausgestattete Heimatmuseum im ersten Stock.

Die Schirmherrschaft für die traditionelle Veranstaltung am Tag der Deutschen Einheit übernahmen wieder der Landrat von Hildburghausen, Herr Thomas Müller, sowie der Coburger Landrat, Herr Sebastian Straubel, der die Gäste am 3. Oktober auch persönlich begrüßte. Die beiden Hausherren, der Heldburger Bürgermeister Christopher Other und der Ortsteilbürgermeister Robert Wolf, freuten sich, Eisfelds Bürgermeister und Vorsitzenden der Initiative Rodachtal, Sven Gregor, den Maroldweisacher Bürgermeister Wolfram Thein und den zweiten Bürgermeister von Bad Rodach, Ernst-Wilhelm Geiling, begrüßen zu dürfen.

Unter den Ehrengästen waren auch Vertreter der Männerwallfahrt Bad Köngishofen, deren Wanderstöcke am 26. Thüringisch-Fränkischen Wandertag ausschließlich den für Wanderstöcke üblichen Einsatz fanden: beschwingt wandern!

Zur Geschichte: Der Thüringisch-Fränkische Wandertag wurde auf Initiative des Kur- und Tourismusvereins Bad Rodach und Umgebung e.V. und der Thüringer Gemeinde Straufhain mit dem Gedanken zur Erinnerung an die Deutsche Einheit ins Leben gerufen. Die Initiative Rodachtal e.V. sowie der Sportverein Heldburg beteiligen sich seit dem Jahr 2001 an diesem Highlight.